Frau Bruns-Cabello, wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Mit 12 Jahren war mein Wunschberuf tatsächlich Kinderdorfmutter in Afrika. Meine Eltern rieten mir davon ab, weil mir damals eine zarte Seele nachgesagt wurde… Da ich eine Begabung für Sprachen habe, wurde ich dann Fremdsprachenkorrespondentin. Dennoch ging ich mit Anfang 20 in die Entwicklungshilfe, musste aber nach drei Monaten abbrechen, weil ich die Ernährung überhaupt nicht vertrug. So wurde es nichts mit Afrika – aber den Traum, Kinderdorfmutter zu werden, habe ich dennoch verwirklicht.
Mein Mann ist Sozialpädagoge und über ihn habe ich die Arbeit mit Kindern kennen und lieben gelernt. So haben wir nach der Geburt unserer Tochter im Jahr 1988 im Pestalozzi Kinderdorf eine Jugendgruppe übernommen und später eine Gruppe mit Kindern jeden Alters. Ich habe mich berufsbegleitend weiterqualifiziert, als Waldorf-Erzieherin und Jugend- und Heimerzieherin. Über die Jahre folgten Fortbildungen, z.B. in gewaltfreier Kommunikation, Systemischer Beratung, Gesprächstherapie und Traumapädagogik.
Sie arbeiten also seit 1988 im Pestalozzi Kinderdorf…
Mit Unterbrechung. Im Jahr 2000 war unsere Kinderdorffamilie an einem Punkt, an dem alle Betreuten mehr und mehr selbständig wurden. Das war ein guter Moment, sich noch einmal neu zu orientieren. Ich habe dann eine Waldorfkindergarten-Gruppe hier in Wahlwies übernommen. Nach 5 Jahren, also im Jahr 2006 kamen frühere Kinderdorfkollegen auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht wieder einsteigen möchte. Also wurde ich Pädagogische Mitarbeiterin. Das heißt, ich vertrete die Hauseltern zusammen mit einer FSJ-Kraft zwei Tage in der Woche, wenn sie frei haben. Das machen wir jetzt schon im elften Jahr miteinander und wir sind ein gutes, eingespieltes Team, das macht richtig Spaß.
Beschreiben Sie Ihre Arbeit mit drei Worten.
Eine ehemalige Erziehungsleiterin hat nach jeder Teamsitzung zu uns gesagt: „Und bitte ‚immer freundlich zugewandt.‘ “ Wir haben dann immer gelacht, aber das trifft es eigentlich total auf den Punkt. In meinen eigenen Worten würde ich sagen: Dasein, Beziehung und Liebe.
Warum wollen Sie genau diese Arbeit machen – und keine andere?
Ich bin jetzt 60 Jahre alt und habe mir schon manches Mal überlegt, etwas in Richtung Erwachsenenbildung oder Familientherapie zu machen, was mir auch sehr viel Spaß machen würde… Aber ich bin einfach zu gerne „am Leben dran“, im direkten Kontakt. Jedes Kind bringt wieder eine neue Nuance und Herausforderung und das gibt auch mir unendlich viel. Ich möchte wirklich nicht woanders sein. Außerdem sind gerade Beziehung, Sicherheit und Verlässlichkeit die Basis unserer Arbeit. Ich würde es gar nicht übers Herz bringen zu sagen: „So, Kinder, ich bin dann mal weg, es kommt jemand Neues.“ Das ist auch etwas, das man sich gut überlegen sollte: die Kinder hier haben schon so viele abgebrochene Bindungen, was man ja eigentlich wieder heilen möchte. Mal ein halbes Jahr oder ein Jahr und dann wieder weg sein – das ist der Sache nicht zuträglich.
Was ist herausfordernd bei Ihrer Arbeit und welche Eigenschaften sind hilfreich?
„Immer freundlich zugewandt“. Das ist für mich die große Herausforderung, immer wieder einen gangbaren Weg zu finden und einen angemessenen Umgang mit jedem Kind. Deeskalierend zu arbeiten und nicht auszuflippen, auch wenn einem manchmal danach wäre. Für mich ist der Leitsatz von Rudolf Steiner ganz prägend, in Kurzform: „Erziehung ist Selbsterziehung.“ Sich selbst immer wieder infrage zu stellen oder auch hintenanzustellen. Wenn ein Kind z.B. einen Dienst nicht machen will und schreit: „Neee, das mach ich nicht, blöde Familie…!“ Da einfach nicht drauf einsteigen, am besten erstmal nicht antworten, im Zweifel kurz rausgehen und sagen: „Wir reden nachher.“ Nicht um jeden Preis durchsetzen, dass es jetzt und sofort gemacht wird, nur weil ich es sage, wenn es vielleicht noch bis zum Abend Zeit hätte. Die Auseinandersetzung bindet so viel Energie und verunsichert auch die anderen Kinder. Die kommen ja alle aus Verhältnissen, in denen es wahrscheinlich sehr viel Streit und Radau gab. Es ist wichtig, dem Kind Zeit und Raum zu geben, dass es Selbstwirksamkeit entwickeln kann. Es sind ja oft missbrauchte und misshandelte Kinder bei uns, die müssen erst mal wieder ihr Eigenes entwickeln und auch „nein“ sagen dürfen. Trotzdem muss ich dran bleiben, denn die Struktur braucht es andererseits auch ganz arg, um den Kindern Sicherheit zu geben. Zu sagen: „Okay, dann lassen wir es halt“, wäre wiederum Vernachlässigung. In diesem Sinne: Es braucht Geduld, Menschenliebe und Durchhaltevermögen. Den Glauben an das Gute im Menschen und die Hoffnung, dass alles seinen Sinn hat. Viele Kinder kommen im Nachhinein und sagen: „Die Zeit im Kinderdorf war die Beste in meinem Leben.“
Können Sie ein Erlebnis schildern, das Sie besonders berührt hat?
Wir sind in den Ferien mal auf einem Campingplatz angekommen mit unseren neun Kindern. Die sind gerade so aus dem Bus rausgepurzelt, nach einer langen Autofahrt, wie die Kartoffeln aus dem Sack…
Im gleichen Maß wie wir unsere Zelte aufbauten, haben die Nachbarn um uns herum die Eingänge von ihren Wohnwagen in die andere Richtung gedreht. Klar, das waren ältere Menschen, die wahrscheinlich dachten: „Oh Gott, hier kommen die Horden, das war‘s dann mit unserem Urlaub.“ Das ging so eine Woche, dann kam eine dieser Niederländerinnen auf mich zu und war total hin und weg. Wie unsere Kinder ohne Murren mit Riesen-Bergen Geschirr zu den Sanitäranlagen gingen und gespült haben, oder zum Duschen oder Zähneputzen, geordnet und harmonisch. Bei anderen Familien mit ein oder zwei Kindern wäre das immer ein Mords-Gezeter. An ihrem letzten Urlaubstag lud sie uns zum Grillen ein, das war ein Riesenfest mit Luftballons und allem. Das hat mir so Freude gemacht und ist mir über all die Jahre eindrücklich in Erinnerung geblieben.
Möchten Sie den Menschen, die überlegen, hier zu arbeiten, etwas sagen?
Ich bin natürlich wegen der Kinder hier, aber auch wegen der Gemeinschaft, dem wunderschönen Ort Wahlwies, äußerlich aber auch von der Atmosphäre her. Eine Demeter-Gärtnerei, ein Dorfladen, das Helfer-Netzwerk mit Therapeuten, Erziehungsleitern, der Küche, der Wäscherei… Das erleichtert es sehr und man kann sich ganz auf die Kinder konzentrieren.
Mit 12 Jahren war mein Wunschberuf tatsächlich Kinderdorfmutter in Afrika. Meine Eltern rieten mir davon ab, weil mir damals eine zarte Seele nachgesagt wurde… Da ich eine Begabung für Sprachen habe, wurde ich dann Fremdsprachenkorrespondentin. Dennoch ging ich mit Anfang 20 in die Entwicklungshilfe, musste aber nach drei Monaten abbrechen, weil ich die Ernährung überhaupt nicht vertrug. So wurde es nichts mit Afrika – aber den Traum, Kinderdorfmutter zu werden, habe ich dennoch verwirklicht.
Mein Mann ist Sozialpädagoge und über ihn habe ich die Arbeit mit Kindern kennen und lieben gelernt. So haben wir nach der Geburt unserer Tochter im Jahr 1988 im Pestalozzi Kinderdorf eine Jugendgruppe übernommen und später eine Gruppe mit Kindern jeden Alters. Ich habe mich berufsbegleitend weiterqualifiziert, als Waldorf-Erzieherin und Jugend- und Heimerzieherin. Über die Jahre folgten Fortbildungen, z.B. in gewaltfreier Kommunikation, Systemischer Beratung, Gesprächstherapie und Traumapädagogik.
Sie arbeiten also seit 1988 im Pestalozzi Kinderdorf…
Mit Unterbrechung. Im Jahr 2000 war unsere Kinderdorffamilie an einem Punkt, an dem alle Betreuten mehr und mehr selbständig wurden. Das war ein guter Moment, sich noch einmal neu zu orientieren. Ich habe dann eine Waldorfkindergarten-Gruppe hier in Wahlwies übernommen. Nach 5 Jahren, also im Jahr 2006 kamen frühere Kinderdorfkollegen auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht wieder einsteigen möchte. Also wurde ich Pädagogische Mitarbeiterin. Das heißt, ich vertrete die Hauseltern zusammen mit einer FSJ-Kraft zwei Tage in der Woche, wenn sie frei haben. Das machen wir jetzt schon im elften Jahr miteinander und wir sind ein gutes, eingespieltes Team, das macht richtig Spaß.
Beschreiben Sie Ihre Arbeit mit drei Worten.
Eine ehemalige Erziehungsleiterin hat nach jeder Teamsitzung zu uns gesagt: „Und bitte ‚immer freundlich zugewandt.‘ “ Wir haben dann immer gelacht, aber das trifft es eigentlich total auf den Punkt. In meinen eigenen Worten würde ich sagen: Dasein, Beziehung und Liebe.
Warum wollen Sie genau diese Arbeit machen – und keine andere?
Ich bin jetzt 60 Jahre alt und habe mir schon manches Mal überlegt, etwas in Richtung Erwachsenenbildung oder Familientherapie zu machen, was mir auch sehr viel Spaß machen würde… Aber ich bin einfach zu gerne „am Leben dran“, im direkten Kontakt. Jedes Kind bringt wieder eine neue Nuance und Herausforderung und das gibt auch mir unendlich viel. Ich möchte wirklich nicht woanders sein. Außerdem sind gerade Beziehung, Sicherheit und Verlässlichkeit die Basis unserer Arbeit. Ich würde es gar nicht übers Herz bringen zu sagen: „So, Kinder, ich bin dann mal weg, es kommt jemand Neues.“ Das ist auch etwas, das man sich gut überlegen sollte: die Kinder hier haben schon so viele abgebrochene Bindungen, was man ja eigentlich wieder heilen möchte. Mal ein halbes Jahr oder ein Jahr und dann wieder weg sein – das ist der Sache nicht zuträglich.
Was ist herausfordernd bei Ihrer Arbeit und welche Eigenschaften sind hilfreich?
„Immer freundlich zugewandt“. Das ist für mich die große Herausforderung, immer wieder einen gangbaren Weg zu finden und einen angemessenen Umgang mit jedem Kind. Deeskalierend zu arbeiten und nicht auszuflippen, auch wenn einem manchmal danach wäre. Für mich ist der Leitsatz von Rudolf Steiner ganz prägend, in Kurzform: „Erziehung ist Selbsterziehung.“ Sich selbst immer wieder infrage zu stellen oder auch hintenanzustellen. Wenn ein Kind z.B. einen Dienst nicht machen will und schreit: „Neee, das mach ich nicht, blöde Familie…!“ Da einfach nicht drauf einsteigen, am besten erstmal nicht antworten, im Zweifel kurz rausgehen und sagen: „Wir reden nachher.“ Nicht um jeden Preis durchsetzen, dass es jetzt und sofort gemacht wird, nur weil ich es sage, wenn es vielleicht noch bis zum Abend Zeit hätte. Die Auseinandersetzung bindet so viel Energie und verunsichert auch die anderen Kinder. Die kommen ja alle aus Verhältnissen, in denen es wahrscheinlich sehr viel Streit und Radau gab. Es ist wichtig, dem Kind Zeit und Raum zu geben, dass es Selbstwirksamkeit entwickeln kann. Es sind ja oft missbrauchte und misshandelte Kinder bei uns, die müssen erst mal wieder ihr Eigenes entwickeln und auch „nein“ sagen dürfen. Trotzdem muss ich dran bleiben, denn die Struktur braucht es andererseits auch ganz arg, um den Kindern Sicherheit zu geben. Zu sagen: „Okay, dann lassen wir es halt“, wäre wiederum Vernachlässigung. In diesem Sinne: Es braucht Geduld, Menschenliebe und Durchhaltevermögen. Den Glauben an das Gute im Menschen und die Hoffnung, dass alles seinen Sinn hat. Viele Kinder kommen im Nachhinein und sagen: „Die Zeit im Kinderdorf war die Beste in meinem Leben.“
Können Sie ein Erlebnis schildern, das Sie besonders berührt hat?
Wir sind in den Ferien mal auf einem Campingplatz angekommen mit unseren neun Kindern. Die sind gerade so aus dem Bus rausgepurzelt, nach einer langen Autofahrt, wie die Kartoffeln aus dem Sack…
Im gleichen Maß wie wir unsere Zelte aufbauten, haben die Nachbarn um uns herum die Eingänge von ihren Wohnwagen in die andere Richtung gedreht. Klar, das waren ältere Menschen, die wahrscheinlich dachten: „Oh Gott, hier kommen die Horden, das war‘s dann mit unserem Urlaub.“ Das ging so eine Woche, dann kam eine dieser Niederländerinnen auf mich zu und war total hin und weg. Wie unsere Kinder ohne Murren mit Riesen-Bergen Geschirr zu den Sanitäranlagen gingen und gespült haben, oder zum Duschen oder Zähneputzen, geordnet und harmonisch. Bei anderen Familien mit ein oder zwei Kindern wäre das immer ein Mords-Gezeter. An ihrem letzten Urlaubstag lud sie uns zum Grillen ein, das war ein Riesenfest mit Luftballons und allem. Das hat mir so Freude gemacht und ist mir über all die Jahre eindrücklich in Erinnerung geblieben.
Möchten Sie den Menschen, die überlegen, hier zu arbeiten, etwas sagen?
Ich bin natürlich wegen der Kinder hier, aber auch wegen der Gemeinschaft, dem wunderschönen Ort Wahlwies, äußerlich aber auch von der Atmosphäre her. Eine Demeter-Gärtnerei, ein Dorfladen, das Helfer-Netzwerk mit Therapeuten, Erziehungsleitern, der Küche, der Wäscherei… Das erleichtert es sehr und man kann sich ganz auf die Kinder konzentrieren.